Ein Knoten ist auch keine Lösung

Tschador Frauen im Iran

Mit der Grenze zum Iran ändert sich kleidungstechnisch für mich viel. Es sind angenehme 20°C. Normal würde ich jetzt meine Flipflops raus suchen, die Strickjacke in die Ecke werfen und vlt. sogar schon die kurzen Hosen auspacken. In der Islamischen Republik Iran kann ich das alles knicken. Lange Hosen gelten für Männer und Frauen, ein langes Oberteil, das die Arme bis zum Handgelenk und den Hintern ein 2. Mal bedeckt sind obligatorisch, hinzu kommt das Kopftuch, das in der Öffentlichkeit IMMER getragen werden muss!
Wir haben es so gewollt. Wir hätten auch zuhause bleiben können. Also gut, ich versuche es als sportliches Experiment zu sehen.

Vor der Grenze stellt sich mir schon die erste Herausforderung. Langes Oberteil, das gleichzeitig den Hintern bedeckt… Fehlanzeige in meinem Kleiderschrank. Ich entscheide mich für ein Sommerkleid über Jeans, bedecke die Arme mit einer zusätzlichen Strickjacke und freue mich im Iran endlich mal wieder shoppen gehen zu können. Wie gesagt es sind angenehme 20°C und so ist es mit all den Schichten noch aushaltbar. Allerdings kämpfe ich unaufhörlich mit dem Kopftuch. Beim kleinsten Windstoß ist es weg, wenn ich mich schnell bewege ist es auch weg. Mit Jörgs Lösung, einem festen Knoten unterm Kinn, sehe ich aus wie eine alte Oma. Wie manche Frauen einen Tschador handeln können ist mir zu dem Zeitpunkt völlig schleierhaft.

 

 

Ein Tschador, übersetzt Zelt, ist ein meist schwarzer Umhang mit dem sich streng schiitische Frauen in der Öffentlichkeit verhüllen. Im Gegensatz zur Burka ist jederzeit das komplette Gesicht sichtbar und er ist nicht verschlossen. Das führt jedoch dazu, dass die Trägerin dauerhaft damit beschäftig ist ihn vor dem Körper zusammen zu halten. Ca. 50% der iranischen Frauen tragen einen Tschador. Für uns völlig unverständlich, wie man sich bei bis zu 50°C im Sommer unter einem schwarzen Zelt aufhalten kann. Wir versuchen also  den Grund dafür raus zu finden und bekommen verschiedene Antworten. Eine Erklärung ist, dass eine Frau ihren Körper vor der Männerwelt verstecken sollte, da diese sich leicht vom schöneren Geschlecht ablenken lässt.  Die Gesellschaft würde dadurch unproduktiv. Uns scheint es, als hätten viele Iraner jedoch andere Wege gefunden sich nicht zu überarbeiten. Die Siesta zwischen 13 und 17 Uhr gehört wohl dazu. Die zweite Theorie besagt, dass eine Frau für Männer interessant bleiben möchte. Die wohl realistischste Theorie besagt, dass eine Frau durch das verdecken ihres Körpers einen Mann zu Respekt ihr gegenüber auffordert. Klingt erstmal seltsam. Geht man allerdings zu Mohammed, dem Gründer des Islams und all seinen Regeln zurück, so macht diese Theorie doch am meisten Sinn. Er erlaubte es Frauen seinerzeit ein Kopftuch zu tragen und sich somit vom Status eines Sklaven abzugrenzen. Vorher war eine Frau lediglich eine Sache und ein Mann konnte immer und überall über sie verfügen. Durch das Kopftuch konnte eine Frau das Begehren eines Mannes etwas eindämmen. Nur ihrem eigenen Ehemann zeigte sie ihre ganze Schönheit. Im Laufe der Jahre haben sich dadurch dann wohl die komplette Verhüllung und auch verschiedene Auslegungen entwickelt.

 

 

Ich bleibe trotzdem bei meinem sehr legeren Kopftuch. Die ersten Tage sind auch so anstrengend genug. Eine Overlanderin die wir getroffen haben beschreibt es ziemlich gut: „Ich habe mich dafür entschieden, es ist also ok, aber kräftezehrend ist das Tragen eines Kopftuches trotzdem. Ständig braucht man eine Hand um es zu richten.“ Ich versuche nicht mehr gegen das Tuch zu kämpfen und langsam nehmen die Tage ab, an denen man es verflucht. Das Richten wird zur Routine. Dann kommt die nächste Herausforderung. Wir kommen nach Jamkaran und das Besichtigen des dortigen Heiligtums ist aus Respekt vor dem Ort und der anderen Gläubigen nur mit Tschador erlaubt… Jetzt wird das Kopftuch doch erstmal festgeknotet. Sieht am Ende ja eh keiner. Ich kann das Tragen des Tschadors in allen Heiligtümern üben. Trotzdem komme ich bis zum Ende unserer Zeit im Iran nicht klar mit den Zelten und drehe und wende das Ding ständig.

 

 

Gott sei Dank hat man zumindest dazu in diesem Land die Wahl und den respektvollen Umgang erlebt man auch ohne. Ich habe Schlimmes erwartet. Männer werden nicht mit mir reden, Frauen werden hinter ihren Männern laufen und nur zuhause am Herd stehen. Aber wieder einmal werden wir überrumpelt vom Iran. Für Männer ist es per Gesetz verboten eine Frau in der Öffentlichkeit zu berühren, also auch das Händeschütteln zur Begrüßung gilt als unzüchtig. Iraner begrüßen uns Frauen trotzdem mit größter Höflichkeit. Anstelle der Hand gibt es ein leichtes Verneigen. Wer hätte das gedacht. Bei allen Gesprächen werde ich in gleicher Weise wie Jörg angesprochen und keiner verlangt von mir hinter meinem Mann zu stehen. Frauen nehmen ganz selbstverständlich und eigenständig am alltäglichen Leben auf der Straße teil, gehen studieren und können in den meisten Bereichen arbeiten. Man ist stolz darauf sich so von den arabischen Ländern abzugrenzen. (Jörg berichtete von frauenleeren Straßen in Saudi Arabien).


Ich bin positiv überrascht und erleichtert, dass ich hauptsächlich mein Äußeres und nicht mein gesamtes Verhalten anpassen muss. Mit der Zeit sieht man auch immer mal wieder händchenhaltende Paare, man reicht auch mir, hier und da, die Hand und wenn man weit genug von polizeilichen Kontrollen entfernt ist fällt auch mal das Kopftuch für ein schnelles Foto. So werde auch ich entspannter, habe das Kopftuch während der teilweise langen Autofahrten nur noch griffbereit über der Lehne hängen, habe mir zwei schicke Kleider gekauft  und ab und zu schlendern auch wir Hand in Hand durch die Gassen.

 

In ein paar wesentlichen Sachen unterscheidet sich die Iranische Gesellschaft dann aber doch von der unseren. Der entscheidenste Punkt ist wohl das verheiratet werden. Zwar ist es nicht wie man es sich vorstellt. Ein Mädchen wird im Kindergarten versprochen und dann mit 14 verheiratet. Ungewohnt ist es für uns trotzdem. Klassisch läuft das Prozedere so ab: Ein Mann entschließt sich zu heiraten, teilt dies seinen Eltern mit. Diese, hauptsächlich die Mutter, schlägt dem Sohn dann 2-3 potenzielle Mädchen vor. Ist dieser damit einverstanden wird die Familie des Mädchens besucht und die Bedingungen für die Hochzeit ausgehandelt. Dabei spielen das Vermögen des Mannes und die Verschleierung der Frau eine wesentliche Rolle. Viele Männer wollen möglichst verschleierte Frauen, Frauen wollen möglichst reiche Männer. Auch wird dem möglichen Brautpaar Zeit gegeben sich privat zu treffen und kennen zu lernen. Wichtig ist, eine Frau hat das letzte Wort. Möchte sie nicht heiraten, so findet die Hochzeit nicht statt. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise, in der sich das Land seit Jahren befindet, kein leichtes Unterfangen für junge Iraner. Ist das Paar dann verheiratet hat der Mann das letzte Wort. Mit einer Beziehung die auf gegenseitigem Vertrauen beruht und nicht der Pflicht der Frau dem Mann zu gehorchen haben wir die Welt einiger Iraner gründlich auf den Kopf gestellt. Allerdings finanzieren bei uns auch meist beide Partner die Familie, während es hier die Pflicht des Mannes ist. So läuft es in den traditionellen Familien ab. In der Praxis gibt es zwischen dieser Variante und dem uns vertrauten selbst wählen des Partners alle erdenklichen Zwischenschritte. Häufig kennt sich das Brautpaar schon vor der Hochzeit, beschließt selbst zu heiraten und benötigt dann nur noch den Segen der Eltern. Fakt ist aber, vor der Heirat wohnt man nicht zusammen. Das wäre schlicht weg gesetzeswidrig.

 

 

Wie bereits erwähnt kommen wir ziemlich schnell in den Genuss zu iranischen Familien nach Hause eingeladen zu werden und waren sehr gespannt, wie denn hier der Umgang sein wird. Es gibt jede Form der Strenge. Manchmal sitzen die Mütter bei Besuch mit dem Tschador auf dem Boden, manchmal fällt aber auch komplett das Kopftuch. Auffällig ist der Umgang in allen Familien miteinander. Es kümmert sich wirklich jeder um jeden. Männer helfen in der Küche, Frauen auf dem Feld und geht es um die Kinder, so könnten sich einige deutsche Väter eine Scheibe abschneiden. Als erstes wird das Kind begrüßt, Papa trägt die Kleinen durch die Gegend, spielt mit ihnen und bringt sie zu Bett.

Auch wenn einige Verhaltensweisen in diesem Land für uns immer noch absurd sind, scheinen sie doch zu einer gesunden, friedlichen und überaus freundlichen Gesellschaft zu führen.

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Kommentare: 4
  • #1

    die Alten (Dienstag, 12 Juli 2016 21:05)

    Hallo ihr 2,
    es ist wieder ein sehr aufschlussreicher und interessanter Bericht - Danke! Viel Glück auf eurer Weiterreise -wir sind dabei!
    Liebe Grüße

  • #2

    Oma Renate (Mittwoch, 13 Juli 2016 09:36)

    Einen wunderschönen guten Morgen , liebe Ann-Katrin und lieber Jörg !
    Danke für euren Eintrag mit den aussagekräftigen , schönen Illustrationen ! Darauf hatte ich schon bisschen gewartet - und nun eigentlich schon wieder auf den nächsten ! Da hoffe ich mit , dass mit der Verschiffung und euerm Flug alles paletti ist !
    Ihr Lieben , euer Eintrag ist so interessant, alles über Land und Leute sowie deren Gepflogenheiten zu erfahren .Dass das Tragen des Kopftuches bzw. des Tschadors ansteht , hätte ich schon gewusst, wie gewöhnungsbedürftig sich das gestaltet- nicht.- Liebe Ann-Katrin , du hast das aber super gemeistert ,beides steht dir gut!Im schwarzen Tschador dachte ich , Jörg steheneben einer Iranerin !Aber Männer haben wohl in dieser Sicht gar keine Einschränkungen ?
    Die Fotos zeigen mir auch , wie harmonisch es in den familien zugeht : meist Alt und Jung nahe beieinander.Auf den Teppichen gemütlich zu sitzen würde mir momentan ziemlich schwerfallen , aber geübt ist geübt.
    Ihr Lieben ,ich denke viel an euch , wünsche euch eine gute Weiterreise-und alles, alles Gute !
    Liebe Grüße- Oma Renate.

  • #3

    Turbo (Mittwoch, 13 Juli 2016 10:04)

    Wann hat Jörg das letzte mal so viel Kleidung über einen solch langen Zeitraum getragen?? Hose und Shirt?? Unglaublich

    Und sogar im Iran fährt meine Busflotte ✌

  • #4

    saltedlife.org (Mittwoch, 20 Juli 2016 15:31)

    Jap, das war für alle gewöhnungsbedürftig, aber über das Shirt hat er nur ein klein wenig gejammert, schlimmer waren die LANGEN Hosen...
    Jetzt in Kazachstan ist Gott sei Dank wieder alles beim Alten.